Du tust Gutes? Psssst.
Warum „Ich hab beim ersten Date ins Bett gekotzt“ besser ankommt als „Ich hab was gespendet“
😵💫 Dieser Beitrag gehört zur Reihe „WTF-Moment“
Heute: Dinge, die mich aus Prinzip aufregen
"Was war das Peinlichste, das dir je passiert ist?"
Diese Frage habe ich schon unzählige Male gehört. Auf Partys. Auf Dates. In Podcasts. Gerne auch in der Hardcore-Variante: „Hast du mal was richtig Schlimmes getan?“ Und jedes Mal denke ich: Klar. Wer nicht? Aber warum fragt eigentlich niemand:
„Was ist das Beste, das du je getan hast?“
Oder:
„Hast du mal jemandem wirklich geholfen?“
Oder – jetzt wird’s wild:
„Worauf bist du stolz?“
Spoiler: Das fragt niemand. Weil’s nach Angeberei riecht. Weil man Positives besser nicht laut sagt, sondern leise denkt. Damit es nicht wie Selbstbeweihräucherung wirkt. Wage es bloß nicht, dich gut zu finden!
Drama? Ja bitte.
Das ist kein Zufall. Unser Gehirn liebt das Drama. In der Psychologie nennt man das Negativity Bias – die Tendenz, negative Erfahrungen stärker wahrzunehmen und länger zu speichern als positive. Weil’s früher mal überlebenswichtig war, sich an die giftige Beere und das knurrende Tier zu erinnern – nicht an den schönen Sonnenuntergang.
Heute zeigt sich das in anderen Formen: Wir erinnern uns eher an den einen fiesen Kommentar als an die zehn netten. Wir grübeln über peinliche Momente von vor sechs Jahren, statt uns an das gute Gespräch von letzter Woche zu erinnern. Und wir klicken eher auf einen Shitstorm als auf eine schöne Geste.
Kein Wunder also, dass wir lieber von Fails erzählen als von Erfolgen.
Dass wir Lästern spannender finden als Loben. Und dass wir “Trauma über Triumph” leben.
Negativity sells – aber bitte hübsch
Das zeigt sich besonders deutlich auf Social Media. Auch da verkauft sich das Schlechte besser – aber nur in der richtigen Dosis.
Ein bisschen Selbstironie? Super.
Ein kontrollierter Breakdown? Geht klar.
Aber wehe, es wird zu echt.
Weinen geht klar, aber nicht zu viel. Erschöpfung bitte in ästhetischem Graubeige. Und wer eine Panikattacke postet, wird schnell gefragt: „Wer filmt denn in so einem Moment?!“
Die Antwort ist meistens:
Jemand, der sich mitteilen will.
Jemand, der sich zeigen will – ganz.
Und jemand, der hofft, dass er damit nicht allein ist.
Aber genau das ist der Knackpunkt:
Echtheit ist nur erlaubt, wenn sie sich gut verpacken lässt.
Zu viel Gefühl? Zu unbequem.
Zu viel Stolz? Zu viel Ego.
Zu viel Schmerz? Stell dich nicht so an.
Und so pendeln wir zwischen perfekt dosiertem Cringe und wohldosierter Verletzlichkeit. Nie zu stolz. Nie zu hilfsbereit. Immer relatable – aber bitte nicht pathetisch.
Das verdächtige Glück
Spannend ist auch: Nicht nur Schmerz wird misstrauisch beäugt. Auch Freude. Wer öffentlich stolz ist, wirkt schnell arrogant. Wer Gutes tut – und es zeigt – soll’s bitte fürs Karma machen, nicht fürs Feedback.
Und wer sagt, dass er sich selbst mag, bekommt ein genervtes Augenbrauenheben, denn wie arrogant will man bitte sein.
Warum eigentlich?
Vielleicht, weil wir gelernt haben, dass Stolz gefährlich ist. Dass man besser tief stapelt. Dass echte Größe darin besteht, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Und irgendwo stimmt das ja auch.
Aber daraus ist eine Kultur entstanden, in der man sich fast schämt, wenn man etwas Schönes tut – oder sagt.
„Ich hab jemandem geholfen.“
– „Willst du jetzt dafür einen Orden?“
Der Gedanke dahinter: Wenn du’s erzählst, war’s nicht selbstlos.
Aber mal ehrlich?
Wenn jemand aus Egoismus anderen hilft – ist das nicht der beste Egoismus, den wir haben?
Solange am Ende jemandem geholfen wird, ist die Motivation doch zweitrangig.
Ja – der Verdacht, dass Altruismus eigentlich Egoismus ist, ist fast schon Standard. Und ganz ehrlich: Na und?
Stell dir vor, Gutes zu tun fühlt sich gut an – und jetzt?
Ist das nicht eher ein verdammt gutes System?
„Wenn jemand aus Egoismus anderen hilft –
ist das nicht der netteste Egoismus, den wir haben?“
Statt sich ständig zu fragen, ob jemand Gutes aus den richtigen Gründen tut, könnten wir uns mal freuen, dass es überhaupt passiert.
Let’s get kind.
Vielleicht ist genau das der Knackpunkt: Wir sind so sehr darauf trainiert, alles zu hinterfragen, dass wir gar nicht mehr wissen, wie man etwas einfach mal stehen lässt. Ein schönes Gefühl. Eine gute Tat. Eine ehrliche Antwort.
Stattdessen suchen wir ständig nach dem Haken: Was steckt wirklich dahinter? Was will die Person damit sagen? Was ist die versteckte Absicht?
Aber was wäre, wenn wir mal anders fragen würden?
Nicht:
„Was war dein schlimmstes Date?“
Sondern:
„Wann hast du dich mal wirklich gesehen gefühlt?“
Nicht:
„Was ist dir richtig peinlich?“
Sondern:
„Worauf bist du heimlich stolz?“
Nicht:
„Was ist das Schlimmste, das du getan hast?“
Sondern:
„Was ist das Beste, das du getan hast – und nie erzählt hast?“
Vielleicht ist das naiv. Oder einfach nur ungewohnt.
Aber vielleicht ist es genau das, was wir alle ein bisschen mehr brauchen.
Life’s weird. Let’s WTF together.🖤
💌 Noch mehr Gedanken über das, was wir nicht laut sagen (aber vielleicht sollten): Was ich sagen will – aber nicht kann